Ein ganz normaler Tag

EIN GANZ NORMALER TAG

24 Stunden im Tag des Fluchttieres Pferd, das seit einem Jahr in einem Laufstall lebt (geschrieben, als Pardon zu der bekannten Geschichte "24 Stunden im Tag des Fluchttieres Pferd, das in einer Box lebt")

Der Tag erwacht, es beginnt zu dämmern. Ich liege im großen Stall neben meinen drei besten Freunden, der erste Hahnenschrei weckt mich auf. Soo, erst noch mal ein bisschen in den Spänen wälzen, dann stehe ich auf.
Auch neben mir wird gewälzt, gestreckt und gegähnt. Die Luft im Stall ist klar und kalt, aber  windgeschützt.
Ich gehe nach draußen um etwas zu trinken. Hier muß ich über Kieselsteine laufen, ich spüre wie das Blut in meinen Hufen und Beinen zu pulsieren beginnt.
Der morgendliche frische Wind weckt meine Lebensgeister, mit Anlauf klettere ich den Aufgang hoch, ich habe Lust mich zu bewegen. Meine Freunde und ich toben im Sand herum , wir jagen die Vögel, die versuchen noch ein par Körner aus den Äppeln zu picken.
Dabei muß man immer aufpassen, daß man keinen Stärkeren anrempelt. Immer nach allen Seiten absichern und dann versuchen durch Haken schlagen jemanden zu erwischen,  fast alle machen mit - wir prusten , schnauben, steigen, rennen. Meine Nüstern sind gebläht, jetzt bin ich hellwach!
Plötzlich, als hätte jemand ein Zeichen gegeben, sind wir wieder alle ruhig und gehen zur Raufe, ein wenig am Stroh knabbern. Wir stecken uns immer gegenseitig an -ob wir toben, fressen , laufen, dösen oder schlafen. Immer machen wir alles zusammen. Wir, das sind meine Herde, 20 große und kleine Pferde, meine Freunde, die Starken, die zwei Alten, unsere Kleinen, unser Chef und unsere Chefin.
Ich bin jetzt den zweiten Winter hier, letztes Jahr habe ich noch oft gefroren, habe mich viel in den Stall gestellt. Damals war mir sowieso vieles unheimlich, vor unserer Chefin hatte ich richtig Angst. Ich wußte aber auch nicht, daß es weh tut, wenn man allen droht. In meinem früheren Leben habe ich einfach immer gedroht, wenn ich meinen Nachbarn mal gesehen habe. Ich wußte da auch gar nicht, daß es Stärkere gibt, und Freunde, oder Schwächere. Jetzt kann ich das alles unterscheiden. Jetzt habe ich auch keine Angst mehr vor unserer Chefin. Sie ist nie ungerecht, sehr erfahren, paßt immer auf. In ihrer Nähe kann ich mich immer sicher fühlen, natürlich drohe ich ihr jetzt nicht mehr.
Ich weiß sowieso sehr viel! Früher hatte ich eigentlich vor allen Geräuschen Angst, aber ich wußte ja auch nicht, wie harmlos das alles ist. Jetzt kann ich mir es ansehen, ich weiß, wenn ich einen Motor starten höre, daß es nur ein Traktor ist, der vorbeifährt, ich kann ja hinlaufen und gucken. Da haben mir natürlich auch die Chefin und die anderen sehr geholfen. Die hatten vor nix Angst und das habe ich von Anfang an gespürt: wenn ich bei den anderen bin, ist alles leichter.
Inzwischen sind die Geräusche nur noch interessant, immer gibt es etwas Neues zu sehen und zu lernen. Ich streite mich auch manchmal, aber die meisten sind richtig gute Freunde.
Es gibt auch viele Regeln bei uns, die zwei Alten z.B. darf man nicht jagen, da wird die Chefin sauer. Ich darf mich auch nicht einfach vordrängeln, wenn`s die Futtersäcke gibt. Da habe ich richtig Geduld gelernt.
Wenn die Sonne scheint kann ich mich jetzt wohlig in den Sand strecken und mir mein langes Winterfell wärmen lassen -das war früher nur ein heller Strahl , der oben durchs kleine Fenster auf die hintere Käfigwand fiel.
Manchmal genieße ich auch den Regen und lasse mich einfach begießen. Wenn`s zu windig ist, gehe ich aber lieber in den Stall. Da sind überall riesige Fenster, man kann im Trocknen stehen und in den Hof gucken, wo meistens irgendwas los ist- die Kinder spielen, die Hunde und die Katzen toben da rum, oder es sind Menschen da, die einen auch immer wieder im Vorbeigehen streicheln. Auch in die Reithalle kann man gucken, da wird meistens mit Stangen, Bällen und vielen anderen Sachen gespielt und es ist immer interessant da zuzusehen.
Früher kannte ich die Hunde nur vom lauten Bellen, das hat mich immer erschreckt, jetzt kenne ich sie genau, auch ihren Geruch, ich kann ja hingehen und dran riechen.
Auch das Verhältnis zu meiner Besitzerin hat sich verändert. Früher wußte ich genau, wann sie kommt, ich habe immer schon gewartet. Denn dann hat sie mich rausgeholt und ich brauchte für eine Stunde nicht zu warten. Jetzt merke ich manchmal gar nicht, daß schon zwei Tage vergangen sind, bis sie wieder da ist. Dafür ist sie meine Freundin geworden, wir haben gar keine Mißverständnisse mehr, sie ist auch viel freundlicher, ich glaube, wir hatten früher beide Angst. Seit ich so erfahren geworden bin, ist sie auch viel ruhiger, es macht auch richtig Spaß durch die Landschaft zu laufen, wenn sie auf meinem Rücken sitzt. Ich kann das richtig genießen, mir tut auch nichts mehr weh. Meine Beine sind nicht mehr steif wenn wir losgehen, fast alles ,was uns begegnet, kenne ich schon. Ich verspanne mich nicht mehr im Rücken und wenn wir galoppieren, spüre ich kein Kratzen mehr im Hals. Ich glaube, die viele frische Luft tut mir gut!
Tja, jetzt wollte ich doch eigentlich meinen Tagesablauf beschreiben, aber jeder Tag ist so verschieden, immer ist irgendwas los, wir können den ganzen Tag und die ganze Nacht fressen, meine Freunde sind immer da, das Wetter ist dauernd anders - Ach, vom Schnee hab ich ja noch gar nicht erzählt, und vom Spaß, sich im Matschviereck zu wälzen.... jedenfalls eines hat sich am meisten verändert: Ich muß nie mehr warten!

Sonja Sebastian                     
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